„Männer, wir weihen die Eisfläche ein!“
Noch gut in Erinnerung ist mir die
Eisfläche in den Bachwiesen. Anfang November bis Mitte Dezember war die
Dorfjugend in Großsachsen damit beschäftigt, den Apfelbach in die
Bachwiesen umzuleiten. Dies geschah so ziemlich am Ende des Viehweges,
heute Riedweg. Nach der letzten Brücke über den Apfelbach, die heute
noch in ihrer ursprünglichen Form erhalten ist, befindet sich eine Art
Wehr aus Sandstein aus der Zeit von Müller & Feder mit einem gemauerten
Durchgang in die Bachwiesen.
Die ganze Dorfjugend war damals
beteiligt, man würde heute sagen, es war Teamwork. Die Älteren machten
die Arbeit im Wasser und die Kleineren schleppten das Material wie
Steine und Grasbüschel heran, um so einen Damm zu erstellen. War dies
geschafft und das Wasser lief endlich in die Wiesen, war das Gejohle
groß und wir waren alle sehr stolz. Ab jetzt musste man nur noch warten,
bis sich hier ein kleiner See gebildet hatte mit einer Fläche, die
eineinhalbmal so groß war wie unser damaliger Sportplatz.
In der Mitte war der See dann etwa 90
Zentimeter tief. Ich weiß das deshalb heute noch so genau, weil ich
damals, als der See noch nicht richtig zugefroren war, die Tragfähigkeit
des Eises testen wollte. Natürlich brach ich ein und musste mit
klitschnassen Kleidern den langen Weg nach Hause laufen, was zur Folge
hatte, dass ich mir einen heftigen Harnwegsinfekt eingehandelt hatte.
Diese Lektion war äußerst schmerzhaft und hatte sich mir tief
eingeprägt. Gott sei Dank war mein Vater da schon von der
Kriegsgefangenschaft zu Hause und hatte aus der Gefangenschaft
Sulfonamid-Tabletten mit dem Namen Prontesil mitgebracht. Als Sanitäter
hatte er in seinem Medikamentenkasten verschiedene Sulfonamid-Präparate,
die damals erst auf den Markt kamen und sehr selten waren. Dieses Prontosil musste ich dann auf Anraten unserer Hausärztin morgens und
abends schlucken. Nach drei Tagen war Dank dieses Medikaments die
Krankheit vergessen. Ich habe ab diesem Zeitpunkt nie mehr die
Tragfähigkeit des Eises getestet. Das probierten nun die anderen, die
teilweise mein Schicksal teilen durften.
Mitte Januar wurde es dann meistens
knackig kalt, zwischen 10 und 15 Grad Minus. Ich kann mich noch gut
erinnern, wir hatten hier auch schon 23 Grad Minus. Ich weiß das deshalb
noch so genau, weil es im Ort drei große Thermometer gab. Einen an der
heutigen Sportscheuer, einen beim
Schreibwaren Schuhmann und einen am früheren Konsum. So konnten wir
immer schauen, wie kalt es war und abschätzen, wie lange es noch dauern
würde, bis die Eisfläche durchgefroren war.
War das Eis endlich tragfähig, wurden die
Schlittschuhe an die Schuhe geschraubt. Man nannte diese Dinger auch
Absatzreißer. Sie hatten zwei Klemmen, die man mit einem
Vierkantschlüssel an der Schuhsohle festschraubte und drei Klemmen mit
Dornen, die sich in den Absatz bohrten. Man kann sich nun vorstellen,
bei der schlechten Qualität der damals verkauften Schuhe, wie lange die
diese Tortour aushielten. Zu Hause gab es dann immer Ärger, wenn der
Absatz oder die Schuhsohlen abgerissen waren. Aber wir hatten unseren
Spaß und spielten Eishockey mit selbst zusammengebastelten Schlägern.
Nach einigen Recherchen habe ich
herausgefunden, dass dieses Wehr, wo wir unsere Eisfläche hatten, der
Firma Müller und Feder zur Eisgewinnung diente. Die Firma machte genau
das Gleiche wie wir, leitete den Bach in die Wiesen, und nachdem das
Ganze gefroren war, schnitt man das Eis in Blöcken heraus, lud es auf
Pferdewagen und brachte es auf das Gelände vom heutigen Obsthof Mayer,
auf dem das Eishaus der Firma Müller und Feder stand. Hier wurde es zur
Kühlung der Presshefe gebraucht. Wie Frau Mayer mir erzählte, nachdem
sie später dieses Gelände von der Firma gekauft hatten und das Eishaus
abgerissen wurde, konnten sie zwei Jahre mit Torf heizen, der als
Isoliermaterial im Eishaus verwendet worden war.
Das Wehr am Apfelbach befindet sich heute
in einem etwas desolaten Zustand. Irgendjemand hatte hier Blöcke von
oben ins Wasser gestoßen. Man sollte versuchen, das Wehr wieder
herzustellen, da sich an dieser Stelle immer noch, man glaubt es kaum,
Bachforellen tummeln.
Auch möchte ich noch erwähnen, dass den
Bauern, die dort ihre Wiesen hatten, unsere Eisfläche wie gerufen kam.
Man hatte mir erklärt, wenn die Eisfläche abgetaut, und das Wasser in
den Boden gesickert war, sorgte der Feuchtigkeitsspiegel für einen
permanent guten Graswuchs. Auch das Grundwasser wurde auf diese Art
immer wieder aufgefüllt. Ich glaube, heute wäre das nicht mehr möglich,
weil sich an dieser Stelle inzwischen Gebäude befinden.
Willi Eck
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