Der Krieg aus Kindersicht

 

Dieses Thema gewinnt ja zur Zeit wieder an Aktualität. Es ist zu hoffen, dass sich der Kriegsherd in Afghanistan, Irak, Indien und Pakistan nicht ausweitet.

Hier eine Schilderung, wie ich den letzten Krieg von 1941 bis 1945 erlebt habe. Auf dem Bild bin ich 2 Jahre alt, als der Krieg begann.

Wir wohnten damals auf dem Lindenhof in Mannheim. Jede Nacht heulten die Sirenen, man wurde aus dem Schlaf gerissen und musste in den Keller. Manche Nächte passierte das zwei bis dreimal. Als Kind war ich in ständiger Angst und Anspannung. Wenn man nach Stunden den Keller endlich verlassen konnte, waren die Nachbarhäuser oft nur noch brennende Ruinen und ein Teil der Nachbarn war tot. Ich sah als Kind Nachbarn auf der Straße liegen, die aussahen, als lebten sie noch. Ihnen hatten die Luftminen die Lungen zerrissen. Das Haus meiner Tante wurde von einer Phosphorbombe getroffen und man konnte sie nur noch an den Resten ihrer Postuniform erkennen. Sie arbeitete damals bei der Deutschen Reichspost.

Meine Mutter hatte so etwas wie einen 7. Sinn. Morgens sagte sie zu mir: „Heute fahren wir zur Tante nach Seckenheim.“ Das war unser Glück. Eine Nacht später wurde das Haus und unsere Wohnung von einer Brandbombe getroffen und ein Teil der Nachbarn starben. Ein paar Leute konnten sich durch einen Durchgang in den Nachbarkeller retten. Nun waren wir in Seckenheim. In der katholischen Kirche war ein sehr guter und tiefer Keller, wo man einigermaßen sicher war. Und in Seckenheim fielen zum Glück wenig Bomben.

Ich erinnere mich aber, dass meine Mutter einmal die Geduld verlor, als wir im Keller der Kirche vor den Bomben Schutz suchten. Die Nonnen und einige Leute, die in ihrer Angst lauthals beteten, fuhr sie an: „Könnt ihr nicht leise beten, wir wissen ja nicht, wie lange wir hier sitzen müssen und wie lange der Sauerstoff reichen muss.“ Der Keller war mit Stahltüren hermetisch abgeschlossen und es gab keine Luftzufuhr von außen. Man sah dies ein und betete still weiter, auch ich.

Aber das Schicksal ist unberechenbar. Ich wurde gegen Diphtherie und Scharlach geimpft und musste wegen genau dieser beiden Krankheiten, die ich dann bekam, ins Krankenhaus, wo sich das ganze mit den Fliegerangriffen wiederholte. Man wurde mehrmals nachts in den Keller gefahren.

Nur einmal passierte es, dass man mich bei einem Fliegerangriff mit meinem Bett auf dem Balkon vergessen hatte. Ich schaute zu, wie die Bomben auf Mannheim herabfielen, konnte das Abwehrfeuer der Flak und die kleinen deutschen Abwehrflugzeuge ME-109 sehen. Dieses Drama beobachtete ich etwa 20 Minuten lang, bis meine Mutter, die zum Zeitpunkt des Angriffes gerade auf dem Weg zum Krankenhaus war, eine Schwester fragte: „Wo ist denn der Willi?“ Da sagte einer der Krankenpfleger: „Oh Gott, den habe ich auf dem Balkon vergessen.“ Die Dramatik der Situation war mir damals nicht bewusst. Ich war gerade fünf Jahre alt und dachte, dass die Flieger mich ja gar nicht sehen könnten. Und es ist ja, Gott sei gedankt, nichts passiert.
 

Woran ich mich noch gut erinnere war, dass der Arzt, der mich behandelte, ein Russe war, Dr. Baranow. Einer meiner Lieblingspfleger war ein Franzose, der Jean. Ein Assistenzarzt war Holländer, der Doppsche hieß und eine Krankenschwester war Engländerin, man merkte es an ihrem Akzent. Ich konnte daher nicht verstehen, dass wir mit diesen Ländern, aus denen sie kamen, Krieg hatten, wo ich doch von ihnen so gut gepflegt und behandelt wurde. Ich hatte sie tief in mein Herz geschlossen.

Fast wie einen Sohn behandelte mich Dr. Baranow. Er verbrachte täglich mehrere Stunden an meinem Bett. Wenn ich wach wurde, strahlte er mich an und sagte zu mir: „Du musst schnell gesund werden, damit wir nach Russland fliegen können. Dann gehen wir Jagen und Fischen in den Sibirischen Wäldern.“ Er bastelte mir aus einem Schnittbogen ein englisches Flugzeug, hängte dieses über mein Bett und sagte zu mir: „Mit dem gleichen, nur in groß, fliegen wir dann nach Russland.“ Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass das ja ein englisches Flugzeug wäre. Aber er sagte: „Bis wir fliegen, ist überall auf der Welt Frieden, und da ist es egal, welche Nationalität das Flugzeug hat.“ Er verstand es, mir Tiger, Bären und andere Tiere so gut zu beschreiben, dass ich sie vor meinem geistigen Augen sehen konnte. Dieser Arzt hatte sehr großen Anteil daran, dass ich wieder gesund wurde. Es würde zu weit führen, alles zu schildern, was ich im Krankenhaus noch alles erlebt habe.
 

Nachdem ich wieder halbwegs gesund war, wurden wir ins Elsass nach Saarburg und dann nach St. Wendel evakuiert. Auf der Zugfahrt dorthin hatte ich ein sehr schlimmes Erlebnis. Der Zug wurde plötzlich gestoppt und es hieß: „Alle aussteigen, schnell in den Wald! Tiefflieger!“ Wir rannten in den Wald und ein Soldat sagte noch zu meiner Mutter: „Legen Sie sich dort hinter den Busch mit dem Kleinen, da sind Sie sicher mit Ihrem Sohn.“ Ich sah noch, wie der Soldat plötzlich einen großen Sprung machte und dann war er verschwunden. Es dauerte noch einige Zeit, wo die Tiefflieger den Zug beschossen, ihn aber nicht zerstören konnten. Plötzlich hieß es dann: „Alle wieder einsteigen!“ Wir rannten wieder zum Zug zurück. Ich riss mich an der Stelle, wo ich den Soldat zuletzt gesehen hatte, von der Hand meiner Mutter los und lief zu ihm hin. Da sah ich ihn ganz ruhig liegen. Ich sagte zu ihm: „Stehen Sie auf, es geht weiter!“ Doch er rührte sich nicht. Ich beugte mich nieder und sah, dass dort, wo früher sein Gesicht war, alles blutig war. Ich griff in meine Hosentasche, zog mein weißes Taschentuch heraus, wedelte vor ihm herum und sagte: „Es ist ganz sauber, ich habe zwei davon.“ Da packt mich plötzlich ein anderer Soldat an den Schultern, zog mich weg und sagte zu meiner Mutter: „Gehen Sie in den Zug zurück. Dem Kameraden hier kann keiner mehr helfen, dem fehlt das ganze Gesicht.“ Ein Schuss hatte ihn in den Nacken getroffen und das ganze Gesicht weggerissen.

Im Zug angekommen hörte ich den Fahrgästen zu, die sich über den Tod des Soldaten unterhielten. Ich hörte Kommentare wie „Schicksal“, „Gottes Wille“ oder „Falsche Zeit am falschen Ort.“ Dieser letzte Ausspruch hat sich mir tief eingeprägt, sodass ich als kleiner Junge immer aufpasste, nicht am falschen Ort zu sein. Das machte sich dann besonders bemerkbar, als ich wieder ins Krankenhaus musste. Ich sah als Kind viele Menschen an ihren Verletzungen durch die Bombenangriffe sterben. An dieser Stelle, wo das Bett eines Verstorbenen stand, durfte später mein Bett auf keinen Fall stehen, weil ich immer dachte: „Der war auch zur falschen Zeit am falschen Ort.“
 

Das Schlimmste waren die täglichen Tieffliegerangriffe. Die Tiefflieger schossen auf alles, was sich bewegte, auf Frauen, Kinder und sogar Kühe auf der Weide. Ich habe es selbst erlebt. Wir gingen mit der Frau, die uns unsere Wohnung in St. Wendel vermietet hatte, auf dem Feld spazieren. Da kam ein Fuhrwerk mit zwei Kühen auf dem Feldweg daher, als zwei Japos (Tiefflieger) herankamen. Meine Mutter kannte den Bauer und sagte: „Legen Sie sich mit Ihren Leuten und den Kindern ins Gras, die schießen auf Sie.“ Aber der Bauer sagte: „Die tun uns nichts.“ Meine Mutter, unsere Vermieterin und ich legten uns in den Graben, aber der Bauer mit seiner Familie fuhr weiter. Ich hörte noch das Heulen der Flieger, die herankamen, dann eine riesige Explosion, danach das abnehmende Geräusch der Flugzeugmotoren und dann war es plötzlich totenstill. Wir erhoben uns aus dem Gras, aber das Fuhrwerk war verschwunden. Ich sah in ca. 30 m Entfernung Rauch aus dem Boden aufsteigen. Wir näherten uns der Stelle und was ich dann sah, brachte mich zum Heulen. Es war grausam: Ein Bombentrichter von ca. 10 m Durchmesser, gefüllt mit menschlichen und tierischen Extremitäten, Blut und Kartoffeln. Die ganze Familie war von der einen auf die andere Minute ausgelöscht. Sie hatten doch niemandem etwas getan. Warum nur? Dieses Erlebnis machte mir lange Zeit zu schaffen und ich war froh, als wir St. Wendel wieder verließen.
 

Mein Vater, der bis dahin in St. Wendel im Lazarett stationiert war, wurde wieder nach Seckenheim versetzt. Ich ging mit meiner Mutter wieder zurück zu meiner Tante. In Seckenheim fühlte ich mich gleich wieder zu Hause. Wir wohnten direkt am alten Neckar. Wenn einmal kein Fliegeralarm war, spielten wir Kinder am Neckarufer. Und da sah ich plötzlich einen wunderschönen ca. 12 cm großen Elefanten aus glänzendem Metall im Gras liegen. Ich war ganz glücklich, so etwas Schönes gefunden zu haben und trug ihn gleich nach Hause, um ihn meiner Mutter zu zeigen. Die wurde ganz blass, nahm ihn mir ab und stellte ihn ganz vorsichtig ins Spülbecken, nahm mich bei der Hand und zog mich aus der Küche. Ich zeterte natürlich kräftig, aber es nutzte nichts. Sie erklärte mir dann: „Das muss sich erst Dein Vater ansehen.“ Der war gerade zwei Tage in Seckenheim in der Kaserne. Als er einige Zeit später kam, zeigte meine Mutter ihm den Elefanten. Er nahm ihn vorsichtig hoch, ging in den Hof und rief seinen Kameraden. Dann fuhren sie mit dem Elefanten weg. Nach einer Stunde kam mein Vater zurück und hielt mir und meiner Mutter einen Vortrag über diesen Elefanten. Er war nämlich mit Sprengstoff gefüllt, und wenn man an dem Fuß gedreht hätte, wäre er explodiert und hätte den ganzen oberen Teil des Hauses weggesprengt. Mein Schutzengel muss ein toller Typ gewesen sein, sonst hätte ich nicht so viel Glück gehabt. Ein Junge, der mit mir im Krankenhaus lag, hatte nicht so viel Glück. Er hatte einen Drehbleistift gefunden, daran gedreht und es hatte ihm beide Arme abgerissen. Solche Erlebnisse sind auch ein Teil dieses schlimmen Krieges gewesen.

Wir blieben einige Zeit in Seckenheim, mussten dann aber nochmals zurück ins Elsass, wo meine Mutter unsere Wohnung auflösen und unsere Möbel abholen wollte. Aber es war schon zu spät. Die Deutsche Wehrmacht war damals schon auf dem Rückzug, sodass wir flüchten mussten. Die Gesinnung der Leute hatte sich über Nacht geändert.
 

Ich hatte bis dahin Freunde bei den elsässischen Kindern, mit denen ich alle Tage spielte. Auch kann ich mich noch schwach an die Freunde erinnern, mit denen ich in St. Wendel durch die Gegend gezogen bin.

Wir hatten ein kleines Leiterwägelchen mit einem uralten französischen Maschinengewehr, noch mit Wasserkühlung und total verrostet. Das hatten wir auf dem Wägelchen festgebunden und wir waren überzeugt, dass wir mit diesem Ding die Tiefflieger abschrecken können. Die Erwachsenen sagten, wenn sie uns sahen  „Passt nur auf, ihr Buben.“ Für unsere Mühe bekamen wir von manchen Leuten dann ein Bonbon oder ein Glas Apfelsaft. Wir waren dann immer furchtbar stolz, weil man uns ernst genommen hatte. Einer dieser Freunde sagte nun zu mir: „Mit Dir darf ich nicht mehr spielen, weil Du ein Reichsdeutscher bist.“ Ich verstand die Welt nicht mehr: Was war denn das nun schon wieder, ein Reichsdeutscher? Ich wollte kein Reichsdeutscher sein, aber es half nichts. Wir mussten über Nacht fliehen. Der Zorn und der Hass wurden zu bedrohlich, was ich nie verstehen konnte. Wir hatten doch niemandem etwas getan.
 

Nun kam ein neuer Abschnitt. Wir mussten zurück nach Seckenheim, konnten aber nicht mehr zu meiner Tante, weil sie schon die halbe Verwandtschaft hatte aufnehmen müssen und für uns kein Platz mehr war. Wir gingen dann zu einer Freundin meiner Mutter nach Großsachsen. So kam ich mit knapp sieben Jahren nach Großsachsen. Bei der Freundin meiner Mutter konnten wir dann einige Zeit wohnen. Man schrieb inzwischen das Jahr 1943 und der Krieg tobte noch immer weiter.

In Großsachsen befand sich in der Nähe der Bundesbahn eine Scheinwerferstation der Flak. Bei Dunkelheit wurden im ganzen Ort die Fensterläden geschlossen und jeder noch so kleine Lichtschein musste verdunkelt werden. Dies alles wurde von einem Luftschutzwart überwacht. Auch in Großsachsen wurde durch eine Bombe ein Haus zerstört (Bürgys Haus) und verschiedene Artilleriegranaten schlugen ein. Auch Tiefflieger gab es hier, aber die Leute blieben in ihren Kellern. Viele Bauern gingen bei einbrechender Dunkelheit oder früh morgens aufs Feld. Man war sich der ständigen Bedrohung durch Tiefflieger bewusst.

Eines der größten Probleme war die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und sonstigen Bedarfsgütern. Für Lebensmittel gab es die so genannten Lebensmittelkarten, wo Zucker, Fett, Brot, Mehl, Fleisch, Wurst, Käse und Tabakwaren streng rationiert wurden. Als Beispiel: Pro Kopf je Monat ca. 200g Zucker, 200g Butter, zwischen 2000–3000 Gramm Brot oder Mehl. Für Kleider, Schuhe oder Haushaltsartikel brauchte man Bezugsscheine, die man bei der Stadt- oder Gemeindeverwaltung beantragen musste aber selten bekam, weil nichts da war. Man hatte zwar Geld, konnte aber nichts dafür kaufen. Und so fing dann der Schwarzhandel an zu blühen. Da konnte man fast alles bekommen, wenn man etwas zu tauschen hatte, was der andere haben wollte. Zum Beispiel für fünf Päckchen Zigaretten bekam man ein Paar Schuhe. Nicht zu vergessen, ein Päckchen Zigaretten kosteten 150 Reichsmark. Es wurde getauscht, was das Zeug hielt: Glühbirnen, Feuersteine, Tabak, Schmuck, Radiogeräte (Volksempfänger), Stoffe, Leder, Butter, Mehl, Rauchfleisch, Öl, Schuhe, Kartoffeln, alles was man sich denken kann.

Es gab auch die Viehzählung. Es wurde alles gezählt: Schweine, Kühe, Hühner, Pferde und Ziegen. Sogar die Ernte wurde geschätzt. Die Bauern bekamen einen Anteil, den Eigenverbrauch, der Rest musste abgeliefert werden. Es wurde schon manchmal versucht, etwas zur Seite zu schaffen, aber wehe wenn man bei der Kontrolle erwischt wurde. Es wurde auch versucht, schwarz zu schlachten. Aber da gab es ein Problem: Die Schweine schrien und zeterten so laut, dass die Nachbarschaft es mitbekommen hätte.

Auch kann ich mich noch erinnern, dass auf dem Hundskopf ein amerikanisches Flugzeug abgestürzt war und der Pilot gefangen genommen wurden. Alles war in Aufregung, bis er vom Militär abgeholt wurde.

Ich war froh, dass wir nun in Großsachsen wohnten und hier wenig Bombenangriffe waren. Man konnte des Nachts, wenn man in Richtung Mannheim oder Frankfurt schaute, den Feuerschein der Bombenangriffe am Himmel sehen. Man konnte sich vorstellen, dass bei jedem Angriff viele Menschen sterben mussten, Zivilbevölkerung wie Frauen, Kinder und alte Menschen, die mit dem Krieg gar nichts zu tun hatten.

Man schrieb inzwischen das Jahr 1945 und der Krieg ging zu Ende. Als in Großsachsen die ersten Amerikaner einmarschierten, hatte ich eine wahnsinnige Angst, denn ich dachte: „Was das wohl für Menschen sind, die die Deutsche Armee besiegt haben?“ Meine Vorstellung war dahingehend, dass sie vielleicht 2,50 m groß sind, vier Arme haben usw., meine Phantasie war unerschöpflich. Dann kamen sie. Der erste Amerikaner, den ich sah, war ein sehr großer Schwarzer, der mit einem Bajonett in der Hand auf einem Panzer saß. Sofort hatte ich das Bild des „Schwarzen Mannes“ im Kopf, das während der Kriegszeit an vielen Hauswänden gemalt war. Unter dieser großen, unheimlichen Figur stand dann die Unterschrift: „Pst, Feind hört mit!“ Auch brachte ich sie mit meinem Kinderbuch, wo man einen Forscher in Afrika in einem Kochtopf sitzen sah, in Verbindung. Und ich sagte zu meiner Mutter: „Hoffentlich fressen die uns nicht auf!“ Meine Mutter versuchte mir dann zu erklären, dass es schwarze, weiße und gelbe Menschen gibt, und dass die Farbe eines Menschen nichts über Gut oder Böse aussagt. So ganz wollte ich ihr das nicht glauben und machte mir so meine Gedanken: „Wie mag das nachts sein, da sind sie ja gar nicht zu sehen.“ Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis ich feststellte, dass gerade die schwarzen Amerikaner sehr kinderfreundlich waren, von denen wir oft Kaugummi und Schokolade bekamen, im Gegenteil zu den weißen Amerikanern, die uns Kautabak und Präservative schenkten. Von dem Kautabak war einem drei Tage lang schlecht und wegen der Präservative gab es zu Hause Haue, weil die Eltern dachten, die Dinger wären gebraucht.

Ich kann mich noch an eine Begebenheit erinnern, die für uns Kinder schlimm war. Es war in einem Hof in der Kirchgasse, wo die Besatzungssoldaten ihre Tornister ausleerten. Es war ein riesiger Berg von Schokoladenriegel, Kekse, weißes Brot, kleinen Kaffeepäckchen, halbvolle Zigarettenschachteln und kleine Rauchfleischpäckchen. Wir Kinder dachten, wenn die Soldaten jetzt weg sind, können wir uns davon etwas holen. Aber Pustekuchen. Ein Soldat kam mit einem großen Benzinkanister, schüttete das Benzin über diesen Berg und zündete alles an. Die herumstehenden Soldaten lachten, als wir Kinder traurig davonzogen. Das werde ich nie vergessen, denn wir Kinder hatten immer Hunger und waren ständig auf der Suche nach etwas Essbarem. Wir hatten das Glück, dass wir auf einem Bauernhof zu Miete wohnten, wo ich des Öfteren auch zum Mittagessen eingeladen wurde, was ich mir natürlich nie zweimal sagen ließ. Manchmal fuhr ich auch mit dem Senior-Bauer aufs Feld und konnte dann mit ihm vespern. Das war das Größte.

Manche Tage klopfte es morgens früh um 6 Uhr an die Haustür. Es war die Militärpolizei, die Hausdurchsuchungen machte, Schränke und Betten durchwühlte und nach Waffen suchte. Sie fanden natürlich keine. Aber sie fanden ein Bild von meinem Vater in Uniform. Und schon ging der Tanz los. Sie waren ganz aufgeregt. Ich lag noch im Bett und schaute dem Ganzen interessiert zu. Durch den Krach, den die zwei machten, kam ein amerikanischer Offizier, schaute das Bild an, und sagte in einwandfreiem Deutsch zu mir: „Ist das Dein Vater?“, was ich verdutzt bejahte. Er sagte zu den zwei anderen: „Ok, is german red-cross.“ Nun hatten wir für die Zukunft Ruhe.

Im Apfelbach fand man eine Menge Waffen, Hitlerbilder, Pistolen, Seitengewehre usw. Wir Kinder hatten schnell spitz bekommen, dass man für ein großes Hitlerbild Kaugummi und Schokolade eintauschen konnte. Für eine Pistole bekam ich fünf Päckchen Zigaretten und drei Tafeln Schokolade. Da wir Kinder im Bach spielten, wussten wir natürlich, dass man solche Sachen nur unter den Brücken fand. Aber das war schnell vorbei, denn es hatte sich herumgesprochen, dass man da Tauschgeschäfte machen konnte. Man musste auch sehr vorsichtig sein, denn manche Soldaten nahmen einem einfach den Gegenstand weg, man bekam gar nichts und wurde noch verjagt.

Im Rathaus war die Militärkommandantur. Meine Mutter musste sich hier die Erlaubnis holen, um nach Mannheim fahren zu dürfen. Wir hatten nämlich einen Bezugschein für einen Küchenherd bekommen, und diesen Herd gab es nur in Mannheim. Während meine Mutter diesen Schein beantragte, musste ich im Flur warten. Die Tür zur Toilette stand ein Stückchen auf, und ich sah hinein. Ich sah ein riesiges Paket Klopapier mit englischer Beschriftung, schön rosa, und es roch leicht nach Desinfektionsmittel. Es waren ca. 20 Rollen. Ich dachte mir, wenn die eine Rolle weniger haben, merken die das gar nicht, und flugs hatte ich eine Rolle in meine Trainingshose verschwinden lassen. Nachdem meine Mutter ihren Schein bekommen hatte und herauskam, packte sie mich bei der Hand und zog mich schnell vom Ort des Geschehens weg. Nach ca. 100 m bemerkte sie die Beule in meiner Hose. Da zeigte ich ihr die Rolle und sie sagte: „Du weißt doch, dass Du das nicht darfst. Was meinst Du, wenn man Dich erwischt hätte?“ Man muss wissen, in dieser Zeit gab es für diesen "hinterlichen" Zweck nur Zeitungspapier oder sonstiges altes Papier, manchmal auch alte Bücher. Diese Rolle Toilettenpapier war damals der reinste Luxusartikel, was man sich heute nicht mehr vorstellen kann, aber es war so.

Wie ich mich noch erinnern kann, herrschte damals von abends 20 Uhr bis morgens 7 Uhr Ausgangssperre und es patrouillierte ein Jeep mit vier Militärpolizisten im Ort. Manche Straßen und Häuser waren von den Amerikanern besetzt. Zum Beispiel beim Hönig sah man nur amerikanische Soldaten. Nach einem Jahr etwa zog die Besatzung wieder ab. Ich glaube, die Leute im Ort waren froh, dass sie ihre Häuser wieder beziehen konnten. Allmählich kehrte das dörfliche Leben wieder zurück, aber der Schwarzhandel blühte weiter.

Nun kamen die Leute aus der Stadt, boten Sachen wie Schmuck, Uhren und Teppiche, Werkzeuge und sonstige Dingen zum Tausch an.

Wir lebten schon fünf Jahren in Großsachsen, als mein Vater 1948 aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückkam.
 

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es nichts sinnloseres gibt wie einen Krieg. Er bringt nur Leid und Tod über die Menschen und ganze Völker. Es wird allerdings immer Menschen geben, die einen Krieg rechtfertigen. Das war schon vor Tausenden von Jahren so und wird auch in Zukunft so bleiben. Ich schließe mit dem Zitat von Günter Eich:

„Es hat noch nichts Inhumanes auf der Welt gegeben,
keine Gewissenlosigkeit,
kein Blut und keinen Terror,
der nicht durch kunstvolle Beweisführung
als gut und richtig gerechtfertigt worden wäre.“

 

Willi Eck