„Männer, mer hewwe Krieg mit Hause“
Ich
kann mich noch erinnern, als ich das zum erste Mal erlebte:
Ein Nachbarsjunge, sein Name war
Fritz, rannte durch die Kirchgasse und schrie:
„Mer hewwe Krieg mit Hause“.
Alle anderen Jungs in
der Straße liefen hinter ihm her und johlten. Es war das reinste
Kriegsgeschrei. Einige waren mit Bohnenstangen und Schleudern bewaffnet.
Ich sah dem Ganzen
interessiert zu und dachte: „Was ist denn jetzt los?“ und wollte
natürlich auch mit. Aber einer sagte: „Willi, Du konscht net mit, weil
Du net so renne konscht. oder Du muscht en grooße Abstand halde, awwer
wonn se Dich kieche, konscht was erlewe.“ So beobachtete ich das
Geschehen aus einiger Entfernung. Die Kontrahenten standen sich meist im
Abstand von 10 bis 15 Metern gegenüber und beschimpften sich. Es wurde
mit Äpfeln, Tomaten, Ackerschollen, oder was man gerade zur Hand hatte,
geworfen – manchmal auch mit Steinen, was zu leichten Verletzungen
führte. Ausdrücke wie „Me haache Euch, bis der Lumpe kotzt.“ oder „Ihr
seid krummgebohrte Arschlöcher“ oder einer der Ausdrücke lautete: „Wann
er so gescheit wärt wie der dumm seid, könnt der im Kniee aus dem
Dachkandel des Wasser saufe.“ warfen sie sich gegenseitig an den Kopf.
Man traf sich an der Spitze der Wegsgabelung
Boin-Friedhofswege-Großsachsener Straße. Mir ist es bis heute noch ein
Rätsel, wie die eine oder andere Gruppe wusste, dass ein Krieg
stattfindet.
Der so
genannte Krieg lief dann folgendermaßen ab. Die Saasemer stimmten ein
Riesengeschrei an mit den üblichen Schimpfworten und fingen an, auf die
Heisemer zuzurennen. Die rannten in Richtung Hausen. Nach drei bis
fünfhundert Metern war dann wohl der Kampfgeist der Saasemer erschöpft
und das Ganze wendete sich, plötzlich trieben die Heisemer die Saasemer
vor sich her. So ging das Ganze circa eine Stunde, dann war der
Kampfgeist der Kontrahenten erschöpft und jeder ging nach Hause in sein
Dorf mit großer Prahlerei;: „Mer hewwe die Schlacht gewunne.“
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Da
ich wegen meiner Gehbehinderung nicht kämpfen konnte, versuchte ich,
unsere Truppe zu beraten. Mir kam die glorreiche Idee, dass man ähnlich
wie bei Cäsar mit seiner Armee in die Schlacht ziehen könne. Ich
versuchte unserer Truppe zu erklären, dass jeder ein Schild brauche,
damit könne man die Wurfgeschosse der Heisemer abwehren und dann eine
Art Schildkröte bilden, so dass den Heisemern nur noch die Flucht übrig
geblieben wäre. Aber der Vorschlag wurde abgelehnt mit der Begründung,
dass man mit den Schildern nicht rennen könne. Einer meinte: „Hör uf mit
Deinem scheiß Cäsar, der hot nur gegen die Germanen kämpfe müsse, und
nicht gegen die Heisemer, des is a ganz anneri Sach.“ Ich versuchte es
nochmals mit dem Bauernkrieg, dass da auch die Disziplin fehlte. Aber
dann kam die Antwort: „Mer brauche ko Disziplin, mer brauche Männer.“
Dann gab ich resigniert auf.
Aus
heutiger Sicht würde ich sagen, gewonnen hat nie eine Partei. Auch
verstand ich überhaupt nicht, worum es eigentlich ging. Das war auch,
wenn man die Parteien fragte, nicht heraus zu bekommen. Ich denke, die
Antipathien der beiden Orte gegeneinander gehen zurück bis ins
Mittelalter, wie man in dem Vortrag von Rainer Gutjahr – Über die
gemeinsamen Wurzeln beider Gemeinden – nachlesen kann.
Nun aber
zurück zu dem Kampfgeschehen, das allmählich zu eskalieren drohte. Einer
der Krieger von Hausen brachte ein Luftgewehr mit und ein Saasemer Junge
brachte eine Mistgabel mit abgesägtem Stiel mit ins Kampfgeschehen. Da
griff die Polizei von Saase, Wachmeister Kronauer und Wachmeister
Schäfer, ein. An die Namen der Heisemer Polizisten kann ich mich nicht
mehr erinnern. Von da an waren die Kämpfe bis auf ganz kleine
Scharmützel beendet. Auch in der Schule wurden drakonische Strafen
angedroht.
Ich kann
mich noch erinnern, es war schon nach dem Kampfverbot, da wollte ich
nach Hausen in die Schlossgärtnerei, um mir für dreißig Pfennig
Kaktusableger zu kaufen. Mit meinem Fuß war das sehr beschwerlich. Ein
Nachbarsjunge, der Conny, bot mit an: „Ich fahr mit dem Fahrrad und Du
hockscht Dich uf den Gepäckträger. Dann geht das schneller, und für Dich
is das net so schwer.“ Gesagt getan. Es ging auch wunderbar bis zu den
ersten Häusern von Hause. Da, plötzlich, wie aus dem Nichts tauchten
drei Heisemer auf und schon ging es los: „Oh, da hewwe mer zwee Saasemer.
Jetzt hem mer Euch.“ Ich dachte, lieber Gott, jetzt wird es böse. Aber
da sagte einer zu mir: „Dich hew ich schon gsehe. Du hoscht net
mitgekämpft. Hoscht Ongscht ghabt.“ Ich sagte: „Nein, ich habe nicht
gekonnt wegen meinem Fuß.“ Da sagte der andere Heisemer, er hieß Peter:
„Der ist Invalid, des siehscht de doch.“ Dann wurde gefragt: „Wo wollt
er denn hie?“ Ich sagte: „In die Schlossgärtnerei.“. Nun wurde
beratschlagt und sie kamen zu dem Schluss: „Gegen Invalide kämpfe mer
net. Ihr könnt weiterfahre, aber bloß in die Gärtnerei.“ Mir fiel ein
Stein vom Herzen. Wir fuhren weiter. Plötzlich rief einer der beiden
„Halt!“ Ich dachte, oh je, die haben es sich anders überlegt. Sie kamen
auf uns zu und fragten mich: „Du hoscht doch alle Kämpfe gsehe?“ Ich
sagte: „Ja.“ Dann meinte er: „Dann konscht Du uns sicher sage, wer
gwunne hot!“ Ich dachte, ja nichts Falsches sagen und dachte kurz nach.
Dann sagte ich: „Ihr seid 20 Meter auf Saasemer Gebiet vorgedrungen.
Also hättet ihr gewunne.“ Das stimmte zwar nicht, aber was sollte ich
anderes sagen. Sie jubelten und sagten: „Siehscht, so gar ein Saasemer
gibt’s zu, dass mer gwunne hewwe.“ Jetzt hatte ich ein Problem. Ich
musste unserer Truppe das ja erklären. Aber die hatten Verständnis und
meinten: „Was hätscht onneres sage kenne als des, was die höre wollte,
sonst hätte die Euch ja verschlage.“
Von nun an
gab es keine Kämpfe mehr. Es gab nur noch ein leichtes Aufflackern der
Antipathien, als Herr Willi Schulenburg seine erste Kinovorstellung in Hause
im Saal „Vom Löwe“ ankündigte. Es war ein Zorro-Film in schwarz/weiß,
Eintritt 30 Pfennig. Natürlich wollten wir Saasemer den Film auch sehen.
Eine größere Gruppe von ca. 20 Kindern machte sich dann in Begleitung
eines Erwachsenen auf den Weg. Es ging alles gut. Alle hatten im Saal
ihren Platz gefunden. Das Licht ging aus, der Film fing an, und
gleichzeitig ging auch die Randale los. Aber Herr Schulenburg machte
hier kurzen Prozess. Das Licht ging an und er sagte: „Wenn es keine Ruhe
gibt, breche ich den Film ab und ihr geht alle nach Hause.“ Von da an
herrschte Ruhe, denn alle wollten ja Zorro reiten und schießen sehen.
Als ich 16 Jahre alt war, besuchte ich in Leutershausen in „Der Rose“
einen Tanzkurs. Das ging alles schon ganz gut, außer wenn man einen
Vorschlag machte, zum Beispiel veränderte Anfangszeiten, dann bekam man
es zu spüren. Es hieß dann: „Natürlich wieder die Saasemer, die wolle
wieder ne Extraworscht gebrote hawwe.“
Aus meiner
Erfahrung war es damals nicht ratsam, eine Veranstaltung zu besuchen, wo
viel Alkohol floss, zum Beispiel Fasching. Da konnte die alte Rivalität
wieder aufflammen. Ich denke, dass hat sich heute gelegt, wo wir doch
jetzt eine Gemeinde (Hirschberg) sind. Was mir allerdings schon ein paar
Mal auffiel, wenn man jemand trifft, den man von früher irgendwie noch
kennt und fragt: „Wo kommen Sie denn her?“, sagt er immer: „von
Leutershausen“ oder „Von Großsaase“, nie „von Hirschberg“. Wenn man ihn
dann konfrontiert und sagt: „Ah, Sie kommen von Hirschberg.“, dann
antwortete er: „No, ich bin von Hause“ oder „…von Saase.“ und das mit
viel Stolz. Ich verstehe das und will mich nicht ausschließen. Mir ging
es genau so. Was mir noch auffällt, wenn man jemand von Hause fragt:
„Wie geht es denn so?“ kommt die Antwort: „Uns geht’s gut.“ Bei
derselben Frage antworten die Saasemer: „Mir geht’s gut.“ Das ließe sich
verschieden interpretieren, aber das maße ich mir nicht an.
Wenn man
den Leuten auf den Mund schaut, zum Beispiel bei den Themen
Sachsenhalle, Feuerwehr, Bürgermeisterwahl usw., sieht man, wie viel
Arbeit noch für die Zukunft von Hirschberg zu leisten ist. Ich denke,
man sollte aufhören, in Kategorien wie Hause oder Saase zu denken. Es
wäre an der Zeit, „Hirschbergerisch“ zu denken. Auch sollte man in
Betracht ziehen, dass bei den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten
nicht der eine den anderen Ortsteil überstimmen kann. Das führt meines
Erachtens nicht zum Miteinander sondern zum Gegeneinander. Auch die
jetzt anstehende Bürgermeisterwahl ist wieder eine große Chance für
Hirschberg. Ich würde mir einen Kandidaten wünschen, der keine
persönliche Beziehung zu dem einen oder anderen Ortsteil hat, großes
diplomatisches Geschick, einen kreativen Geist und nach Möglichkeit
überparteilich ist, der die Arbeit des Bürgermeisters Werner Oeldof
weiterführt und mit neuen Impulsen belebt.
Ich wünsche
mir nicht, dass unsere Enkel wieder durch die jeweiligen Ortsteile
laufen und rufen: „Männer, mer hewwe Krieg mit Hause.“ oder umgekehrt.
Das würde nicht mehr in die Zukunft passen. In unserer heutigen
chaotischen und schnelllebigenden Zeit, hat für mich nur noch der Slogan
bestand: Nur gemeinsam sind wir stark. Ich wünsche mir, dass unsere
Enkel und Urenkel einmal sagen: „Ich bin stolz, ein Hirschberger zu
sein.“
Willi Eck |