Die wundersame Wandlung von Celine

Ein Freund von uns ist Pfarrer. Er erzählte uns vor längerer Zeit die folgende Geschichte von Celine (Namen geändert):

Celine war eine meiner Religionsschülerinnen. Sie führte eine Gruppe von drei Mädchen und einem Jungen an. Alles was sie tat, wurde von der Gruppe mit Beifall bedacht. Von der ersten Stunde an versuchte sie, mich im Religionsunterricht zu provozieren und herauszufordern. Ich versuchte öfters, mit ihr zu reden, aber alle Mühe war vergebens. Ich machte mir Gedanken, warum sie so geworden ist. Ihr Schlagwort war: „Herr Pfarrer, hören Sie auf mit dem Kokolores, alles, was Sie erzählen, stimmt sowieso nicht. Mir kann keiner mehr etwas erzählen, ich weiß, wo es lang geht.“ Ich suchte ihre Eltern auf und die sagten mir, dass sich Celine seit anderthalb Jahren plötzlich verändert habe. Die Familie war sehr gut situiert. Celine hatte einen Bruder, der war das absolute Gegenteil von ihr. Er erzählte mir, dass es vielleicht mit dem Tod ihrer besten Freundin Charlott zu tun haben könnte. Ich wollte sie darauf ansprechen, was ich in der nächsten Unterrichtsstunde auch tat. Sie wich mir aus und antwortete:  „Das ist meine Sache und geht Sie nichts an.“ Ich bat sie, ob wir nicht ein Abkommen treffen könnten, dass sie den Unterricht nicht weiter störe und ich sie auch nicht weiter fragen würde. Sie sagte: „O.K., bevor Sie wieder zu meinen Eltern rennen und denen den Kopf vollabern, abgemacht.“ Mit fiel ein Stein vom Herzen. Ich war gespannt auf die nächste Unterrichtsstunde, würde sie sich an das Abkommen halten?

Eine Woche später war es dann soweit. Ich kam ins Klassenzimmer und war überrascht, denn der Platz von Celine war leer. Ich dachte, aha, so löst sie das Problem und fragte bei den anderen Schülern nach und bekam die Auskunft: „Celine liegt im Krankenhaus, sie hatte einen schweren Unfall. Die sehen Sie so schnell nicht wieder.“ Ich war sehr erschrocken und fragte: „In welchem Krankenhaus liegt sie denn?“ Man sagte mir, in der Unfallklinik. Sie hätte es schwer erwischt. Ich nahm mir nun vor, sie später zu besuchen.

Als ich in die Klinik kam und ihr Zimmer betrat, lag sie dort alleine. Sie riss groß die Augen auf: „Sie Herr Pfarrer? Wenn ich alles geglaubt hätte, aber nicht, dass Sie mich besuchen, wo ich Ihnen doch das Leben so schwer gemacht habe.“ Ich versuchte sie zu trösten und sagte: „Du darfst Dir keine Vorwürfe machen. Ich sehe es als Privileg der Jugend an zu zweifeln und nach neuen Wegen zu suchen. Ich bin Dir nicht böse. Vergessen wir alles. Das Wichtigste ist, Du musst jetzt erst einmal wieder gesund werden. Was sagen denn die Ärzte?“ Sie sagte: „Wollen Sie das wirklich wissen?“ Ich sagte: „Natürlich!“ Sie sagte: „So, wie es im Moment aussieht, bin ich querschnittsgelähmt.“ Ich war sehr erschrocken, bemühte mich aber, mir nichts anmerken zu lassen, fasste ihre beiden Hände und sagte: „Menschen und auch Ärzte können sich irren. Du bist jung und stark, hast einen festen Willen, Du musst kämpfen. Du bist doch eine Kämpferin. Nur wer nicht kämpft hat schon verloren.“ Sie sagte: „Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Pfarrer.“

Ich versuchte ihr immer wieder Mut zu machen und ihren Glauben an sich selbst zu stärken. Ich merkte, sie war ziemlich aufgewühlt und überlegte, was ich nun für sie tun könne. Ich nahm wieder ihre Hand und fragte sie: „Vielleicht sollten wir zusammen beten, leise jeder für sich.“ Sie sah mich groß an und fragte: „Was soll das bringen, Herr Pfarrer?“ Ich sagte zu ihr: „Es kann aber auch nicht schaden, schließ Deine Augen und bete still für Dich.“ Wir taten es und danach merkte ich, dass sie ruhiger war. Ich fragte sie: „Ich würde Dich gerne wieder besuchen, wenn Du es möchtest.“ Sie sagte: „Es kommt ja außer meinen Eltern und meinem Bruder niemand.“ Ich fragte sie: „Wie sieht es mit Deiner Clique aus, die besuchen Dich doch bestimmt.“ Sie war entrüstet und zornig. „Auf deren dummes Geschwätz kann ich verzichten. Eine meiner Freundinnen sagte zu mir: „Kopf hoch Celine, es wird schon wieder werden. Und wenn nicht, hast Du statt Deiner beiden Beine eben zwei Räder.“ Am liebsten hätte ich, wenn ich gekonnt hätte, alle vier rausgeschmissen. Die sollen mir ja wegbleiben.“ „Vergiss dieses Geschwätz von Deinen Freunden, hake es ab und denke nicht mehr daran. In einigen Tagen werde ich Dich wieder besuchen.“ Sie sagte: „Das wäre schön, es tut gut, mit einem Außenstehenden zu reden.“

Als ich dann wieder in die Stadt kam und noch etwas Zeit hatte, dachte ich, ich besuche Celine, vielleicht kann ich ihr wieder etwas Mut zusprechen. Ich klopfte an ihre Zimmertür  und war überrascht. Ein lautes und fröhliches „Komm schon rein!“ ließ mich die Tür öffnen. Sie sah mich, und sagte: „Ach Gott, Sie sind es Herr Pfarrer.“ Ich fragte sie: „Hast Du jemand anderes erwartet?“ Sie sagte: „Ja, aber das raten sie nie. Setzen Sie sich erst einmal, das muss ich Ihnen erzählen. Raten Sie einmal, wer mich besucht hat.“ Ich sagte: „Celine, ich weiß es nicht.“ Sie sagte: „Ich werde es Ihnen sagen: Es war Nele.“ Ich war schon gewaltig überrascht, denn die beiden waren wie Feuer und Wasser. Ich fragte ganz erstaunt: „Und? was habt ihr besprochen?“ Sie sagte: „Ich erzähle es Ihnen: Sie wissen ja, Nele ist die Klassenbeste. Sie versteht alles, sie lernt alles zehnmal schneller wie wir, aus diesem Grund habe ich sie gehasst. Aber sie erzählte mir dann: „Ich hab Dich immer bewundert, wie Du vor nichts Angst hattest, im Sport warst Du immer die Beste, was glaubst Du, wie ich Dich darum beneidet habe.“ Am Anfang war ich etwas misstrauisch und dachte mir, sie hat sicher schon gehört, wie es um mich steht und möchte sich an meinem Unglück weiden. Aber nichts von allem hat gestimmt. Ich habe festgestellt, dass sie es unheimlich bedauert, dass mir das passiert ist. Während ich ihr mein Schicksal geschildert habe, weinte sie. Und da war mir klar, sie meint es ernst. Sie bot mir an, mich zwei- dreimal in der Woche zu besuchen und mir den Unterrichtsstoff mitzubringen, dass ich das Abitur schaffe. Sie sagte zu mir: „Zusammen packen wir das.“ Und sie werden es nicht glauben Herr Pfarrer, wenn Nele mir die Aufgaben in Deutsch, Mathe oder Physik erklärt, verstehe ich das. Sie hat die Begabung, alle komplizierten Sachen einfach zu erklären, so dass ich mithalten kann. Inzwischen habe ich Nele sehr schätzen gelernt und ich glaube fest, dass wir beide Freundinnen geworden sind. Wir können uns über alles unterhalten. Sie erzählt mir ihren Kummer, ich erzähle ihr meinen Kummer, so dass vieles leichter zu tragen ist. Sie bestärkt mich jedes Mal, wenn sie da ist, „Wenn Du fest daran glaubst, wirst Du auch wieder laufen können.“ Ich habe mir bei den Ärzten ausgebeten, dass wenn Nele da ist, sie im Zimmer bleiben darf, denn ich kriege vor lauter Aufregung sowieso nichts mit. Aber Nele kann es mir im Nachhinein wunderbar erklären. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit mir zu üben. Sie zieht mich immer am großen Zeh und ich habe das Gefühl, dass ich das spüre. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber wenn ich mich auf meinen großen Zeh konzentriere, dann bewegt er sich manchmal zwei, drei Millimeter. Und das scheint für Nele der Beweis zu sein, dass sich das Gefühl in meinem Bein wieder einstellt. Ich habe den Arzt gefragt, der sagte mir: „Es gibt schon so was, aber mach Dir keine großen Hoffnungen, dass Du nicht enttäuscht bist, wenn es nicht klappt.“ Er erklärte mir, dass einzelne Nerven vielleicht doch noch funktionieren. Also hatte Nele Recht. Und ich merke, dass auch der andere Fuß schon Zehen bewegen kann. Wenn Nele da ist, werden nach den Aufgaben die Füße trainiert. Sie ist fest der Überzeugung, dass das hilft. Was denken Sie, Herr Pfarrer?“ Ich sagte: „Ich glaube, dass Nele für Dich sehr gut ist, dass sie versteht, Dich zu motivieren und wie ich sehe, ihr gute Freundinnen geworden seid. Das freut mich sehr für Euch beide. Ich sehe es für die Zukunft so, dass ihr Euch beide wunderbar ergänzen könnt. Ich glaube inzwischen auch daran, dass es Dir gelingen wird, Deine Beine wieder gebrauchen zu können.“ Sie sagte: „Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen, Herr Pfarrer. Ich war stinksauer, als meine beste Freundin Charlott plötzlich verstarb und habe an gar nichts mehr geglaubt. Es war für mich sehr schmerzlich und ich war tieftraurig und werde Charlott niemals vergessen. Ich war damals sehr gläubig und haderte danach mit Gott: „Warum hast Du mir Charlott genommen? Dich kann es nicht geben, sonst hättest Du das verhindert.“ Von da an habe ich nur noch an mich selbst geglaubt. Und dann noch dieser blöde Unfall. Das hat mich in meiner Meinung noch bestärkt. Bis Nele in mein Leben trat. Inzwischen glaube ich, dass alles im Leben doch seinen Sinn hat. Was denken Sie, Herr Pfarrer?“ Ich wusste nicht, was ich ihr noch antworten sollte und sagte: „Celine, im Leben passieren Dinge, die wir erst im Nachhinein verstehen können. Es heißt ja so schön, der Mensch denkt und Gott lenkt. Du siehst ja, aus einer vermeintlichen Feindin ist eine Freundin geworden.“ Ich versprach ihr, sie weiterhin zu besuchen, was sie freudig begrüßte und was ich dann auch tat. Und siehe da, nach einem halben Jahr konnte Celine mit Neles Hilfe auf eigenen Füßen stehen. Sie benutzte noch ein Gehgestell, aber man konnte es beobachten, ihre Genesung schritt täglich voran. Heute nach einem Jahr sehe ich beide durch die Stadt spazieren und es ist immer ein riesen Hallo, wenn wir uns treffen. Was mich besonders freut, bei allen kirchlichen Aktivitäten bringen beide ihre Ideen ein und haben die Begabung, die anderen Jugendlichen auch zu überzeugen. Celine hat in der Schule einen riesen Fortschritt gemacht, wie ich von den anderen Lehrkräften erfahren habe. Sie braucht sich um ihr Abitur keine Sorgen zu machen.

Soweit der Bericht meines Freundes. Ich habe versucht, ihn in meinen Worten wiederzugeben. Nach meinen Informationen sind beide Mädchen immer noch die dicksten Freundinnen und haben inzwischen beide ihr Abitur bestanden.

Willi Eck