Gräber im Kirchenschiff

Es war einmal wieder so weit, ich fuhr mit dem Großvater Bitzel an die B 3, wo er eine Wiese hatte, zum Grünfutter mähen. Da er mir immer Geschichten erzählte, wollte ich ihm diesmal auch eine erzählen. Ich fing an: „Du kennst doch sicher die Geschichte über die Statur vom segnenden Jesus auf unserem Friedhof. Wenn es abends dunkel wird, fängt die immer an zu leuchten.“ Ich hatte bis dahin immer an ein Wunder geglaubt. Er sagte: „Ja, die kenne ich. Das hat eine ganz einfache Ursache, die mit Wunder nichts zu tun hat. Du kennst doch das Haus der Familie K. in der Nähe des Friedhofs. Wenn es abends dunkel wird und die ihre Fensterläden schließen und in der Wohnung Licht anmachen, fällt ein Lichtstrahl durch das Herz, das in den Fensterläden ist, auf diese Jesusfigur. Du siehst also, es ist kein Wunder sondern hat eine ganz einfache Erklärung.“

Ich war enttäuscht. Er merkte es und sagte: „Nun erzähle ich Dir eine Geschichte, die auf Wahrheit beruht. Du kennst doch unsere heutige evangelische Kirche.“ Ich sagte: „Ja, klar.“ „Die war früher nicht so groß wie heute.“, fuhr er fort, „Es war früher eine kleine katholische Kapelle und hieß St. Maria Magdalenen. Und um diese Kapelle herum war der Kirchhof, heute nennt man es Friedhof, in dem damals die Verstorbenen begraben wurden. In Großsachsen lebten damals zwischen vier und fünfhundert Seelen, da reichte dieser Kirchhof noch völlig aus. Und außerdem gab es noch ein Beinhaus, so dass man diese Gräber wieder früher belegen konnte. Die Honoratioren hatten das Privileg, in der Kapelle, später im Boden der Kirche begraben zu werden.“ Ich sagte zu ihm: „Das wollte ich nicht. Da dappt einem ja jeder, wenn Gottesdienst ist, auf dem Kopf herum. Und dann, was sind denn nun wieder Honoratioren, und was ist Privileg?“ Er erklärte es mir. Ich sagte: „Aha“ und nachdem ich nach einigen Rückfragen erfuhr, dass da keine Könige und Fürsten begraben waren, ließ mein Interesse nach.

Aber da war ja noch das Beinhaus. Ich dachte, waren denn die Beine so wichtig? Und ich fragte: „Wieso dass alles?“ Er erklärte mir: „Wenn der Mensch verstorben und begraben ist, geht er den Weg des Vergänglichen. Wie schon in der Bibel steht: Aus Staub bist Du genommen und zu Staub wirst Du wieder werden. Wenn also der Platz für ein Grab wieder gebraucht wird, um ein neues Grab anzulegen, und beim Anlegen eines neuen Grabes sind dann noch Knochen, also die Gebeine erhalten, hat man die ins Beinhaus gebracht. Am Anfang hatte man die Gebeine noch nummeriert, später wurde das nicht mehr gemacht, weil sich der Aufwand nicht gelohnt hatte. Die Gebeine wurden von den Angehörigen sowieso nicht mehr besucht.“ Was später aus dem Beinhaus wurde, konnte er mir nicht sagen. Später wurde der Kirchhof, heute Friedhof verlegt. Er reichte dann von der Kirchgasse bis zum Haagacker. Weil er dann aus dem Ort raus musste, wurde er ins Gewann Sandgriebe, wo er sich heute noch befindet, verlegt.

Zur damaligen Zeit wollte ich das alles nicht so richtig glauben. Ich erzählte es meinem Vater und der sagte: „Dieses Privileg galt eigentlich nur für Kaiser und Könige.“ Dann dachte ich darüber nicht mehr nach, bis 1963 die Heizung in der Kirche erneuert wurde. Bei den Ausschachtungen kamen dann Gebeine zum Vorschein und die Kinder spielten damit und versuchten, sich gegenseitig zu ängstigen. Da fiel mir wieder die Geschichte des Großvaters ein, aber es war schwer zu recherchieren, wer hier begraben worden war. Ich kann mich noch erinnern, die Arbeiter hatten die gefundenen Schädel auf der Kirchenmauer abgelegt, es waren zehn oder elf. Ich habe mich damals sehr gegruselt. Einen Tag später haben zwei der Schädel gefehlt. Damals erzählte man sich, einer soll bei einer Person auf dem Schreibtisch stehen, der andere soll ein Sammler aus dem Odenwald mitgenommen haben.

Dann lernte ich den Historiker Rainer Gutjar aus Karlsruhe kennen. Bei der letzten Renovierung des Zwiebelturms 2006 fand man auch drei Grabplatten. Eine in der Nähe des Altars und eine links am Eingang vom Turm her. Die Grabplatte am Altar könnte die von Jochen Weidner sein, die am Turmeingang die von Johann Straub, die andere Grabplatte war zu abgetreten, um sie entziffern zu können. Von Herrn Rainer Gutjahr stammen die Beschreibungen des Joachim Weidners und Johann Adam Straub, die er mir zur Veröffentlichung in meiner privaten Homepage überlassen hat. Hierfür und auch für all die anderen Berichte von ihm möchte ich mich an dieser Stelle einmal ganz herzlich bedanken.

Man könnte vielleicht auch annehmen, dass das Privileg, im Kirchenschiff beerdigt zu werden, schon in der Zeit der Kapelle St. Maria Magdalena seine Gültigkeit hatte.

Willi Eck