Kindergottesdienst - damals in den 40iger Jahren

Damals war es noch Pflicht vom Elternhaus aus, dass ihre Sprösslinge den Kindergottesdienst besuchten. Es war jeden Sonntagmorgen das gleiche Ritual.

Nach dem Vaterunser-Läuten vom Hauptgottesdienst ging es los. Meine Mutter sagte: „Zeig mir mal Deine Hände, ob sie auch sauber sind. Und dann begann die große Inspektion. Die Ohren, der Hals usw. Es war klar, dass man zeterte, aber es half nichts. Es kam dann der Spruch: „Du gehst mir nicht wie ein Dreckspatz in die Kirche. Was würden denn die Leute von uns denken.“ Zum Schluss kam dann noch der Haarschopf dran. Die Haare wurden nass gemacht und dann auf der linken Seite ein Scheitel gezogen, das Ganze gekämmt und schön festgedrückt, so dass man aussah, als wäre man abgeschleckt. Zum Schluss kam dann noch die Ermahnung: „Pass auf, was der Pfarrer predigt, dass Du es mir später erzählen kannst.“

Auf dem Weg zu Kirche traf man dann auf seine Freunde und Leidensgenossen. Die sahen alle ähnlich aus, geschniegelt und gebügelt, also wahrscheinlich war es überall das gleiche Ritual. Traf man unterwegs auf Mädchen, hieß es: „Do kumme die Weiber.“ Damals wollte man mit den „Weibern“ nichts zu tun haben. Sie mussten also vor uns oder hinter uns gehen, auf keinen Fall mit uns. Es war ja verpönt, mit einem Mädchen gesehen zu werden und man bekam dann schnell den Schimpfnamen: “Du bist wohl ein ‚Mädchenroll’“ Ich konnte nie in Erfahrung bringen, was dieses Schimpfwort für eine Bedeutung hatte.

Endlich an der Kirche angekommen, war der Hauptgottesdienst zu Ende und wir warteten artig an der Seite, bis die Kirche leer war. Der eine oder andere Besucher sprach uns an: „Na, ihr Buuwe, geht ihr in de Kinnergottesdienscht?“ Wir sagten: „Ja.“ „Dass ihr mir schön aufpasst, was der Pfarrer erzählt, dass ihr aufrechte Menschen werdet.“ Wir sagten: „Jawohl, Herr X oder Frau Y“, man kannte ja fast alle.

Nachdem wir dann die Kirche endlich betreten konnten, hieß es: „Alle setzen sich hin, die Mädchen auf die linke und die Buuwe auf die rechte Seite.“ Kaum saßen wir endlich, hieß es: „Aufstehen zum Gebet.“ Ich kann mich daran nicht mehr so gut erinnern, aber die Gebete waren auf uns Kinder zugeschnitten. Es wurde auch viel gesungen. Der Pfarrer erzählte dann Geschichten aus dem Leben von Jesus.

Und da war noch das Fenster mit der Bergpredigt, eine Art Blickfang, direkt hinter dem Pfarrer. Durch dieses Fenster hatten wir Kinder so jeder seine eigenen Vorstellungen von Jesus, wie er dastand und zum Volk predigte. Jedes der Kinder konnte da seiner Fantasie freien Lauf lassen. Heute erfüllt es mich mit etwas Wehmut, dass man dieses schöne Fenster in den Turm verbannt hat. Es hat doch uns, die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, vom Kindergottesdienst über die Konfirmation bis zur Hochzeit begleitet. Aber so ist das nun mal, alles befindet sich im Wandel der Zeit.

Eines kommt mir gerade noch in Erinnerung: Der Großvater erklärte mir einmal, „Wenn Du in der Kirche sitzt, musst Du immer daran denken, dass an diesem Platz, wo die heutige Kirche steht, auch vor 500 Jahren schon eine Kapelle stand. Auch da haben schon die Großsachsener gebetet und gesungen. Dieser Platz hat also etwas Sakrales. Sei Dir also bewusst, wenn Du in der Kirche sitzt, wie viele Leute vor Dir an diesem Ort schon ihre Sorgen und Nöte hatten und um Beistand gebeten haben. So schloss ich dann manchmal im Kindergottesdienst die Augen und stellte mir in meiner Fantasie vor, was das wohl für Leute waren. Dann sah ich manchmal Bilder vor mir von Frauen, Männer und Kinder und dachte so bei mir, so könnte es gewesen sein. Bloß der Pfarrer sah das nicht so, denn der dachte, ich sei eingeschlafen. Er sagte zu mir: „Du solltest abends früher schlafen gehen. Ich werde mal mit Deinen Eltern reden.“ Ich dachte, „Oh, verflixt, das hat mir gerade noch gefehlt.“

Einmal ist es mir auch passiert, dass ich von der Bank fiel. Das hatte einen besonderen Grund. Jeder Platz hatte unter der Gesangbuchauflage einen beweglichen Haken für die Handtaschen der Frauen oder Hüte der Männer. Bewegte man diesen Haken, entstand ein sehr lautes Quietschen. Dass der Pfarrer einen nicht erwischte, musste man den Oberkörper ganz ruhig halten. Aber man hatte ja noch die Möglichkeit, den Haken mit dem Knie zu bewegen. Ich rutschte also auf der Bank nach vorne, um mit dem Knie an den Haken zu kommen, und da ich noch klein war, reichte es nicht aus, so dass ich von der Bank fiel. Mein erster Gedanke war: „Das war die Strafe.“ denn die alten Leute sagten immer: „Die kleinen Sünden bestraft der Herrgott sofort, und die größeren später.“

Auch passierte es manchmal, dass einen der Pfarrer beim Tauschhandel erwischte. Wir Jungs hatten ja immer die Hosentaschen mit allem möglichen Krimskrams voll. Und wenn dann einer etwas hatte, was man haben wollte, wurden die Hosentaschen geleert und die Schätze ausgebreitet. Aber wehe, der Pfarrer erwischte einen, dann war das Geschäft abrupt zu ende und die „Waren“ wurden beschlagnahmt. Und manchmal gab es noch eine Kopfnuss als Draufgabe. Man hatte dann immer ein schlechtes Gewissen und dachte: „Wenn der Pfarrer das gemerkt hat, hat Jesus es erst recht gesehen.“ und man starrte schuldbewusst zum Fenster hoch mit der Jesusfigur und sagte in Gedanken: „Vergib mir, ich werde es nicht wieder tun.“ Mit was auch, die Waren waren ja auch beschlagnahmt.

Nachdem der Gottesdienst zu Ende war, gingen wir im Gänsemarsch nach Hause und sangen unser Lieblingslied, das konnte man am leichtesten behalten, „Großer Gott wir loben Dich, Herr wir preisen Deine Stärke“. Allerdings passten wir den Rhythmus unserem Marsch an. Mein Vater und die Bewohner der Kirchgasse amüsierten sich köstlich darüber, wie mein Vater es mir später erzählte.

Ja, so war es damals. Wenn man heute daran zurück denkt, entlockt es einem immer noch ein Schmunzeln. Über die Sorgen von damals kann man heute nur noch lächeln.

Willi Eck