Großsachsen
- so, wie ich es noch erlebt habe -


Breitgasse

Das Großsachsen meiner Kindheit zu beschreiben, kann nur unzureichend sein, denn wie soll ich die Lebendigkeit, den Charakter und die Stimmung wiedergeben.

Da hörte man zum Beispiel schon morgens um fünf Uhr in allen Höfen das Muhen in den Kuhställen, das Krähen der Hähne und das Quieken der hungrigen Schweine. Jetzt begann die Fütterung der Tiere. Danach zog der warme Stallgeruch über den Hof, die Bäuerin wirtschaftete in der Küche, das hörte man am Klappern des Geschirrs und man roch den Duft des frisch aufgebrühten Kaffees. So etwa erwachte jeder Hof zum Leben.

Wir Kinder bekamen den Beginn des Tages in dieser Weise noch halb schlaftrunken mit. Inzwischen hörte man das Rattern der Fuhrwerke und das Klappern der Pferdehufe. Gegen zehn Uhr herrschte ein emsiger Betrieb in allen Gassen. Je nach Jahreszeit roch es nach eingeholtem Heu oder erdigem Geruch von Rüben und Kartoffeln, frischem Gras oder Klee.

Um die Mittagszeit so gegen zwölf Uhr zog der Duft von deftigen Mahlzeiten bis auf die Gassen. Es wurde damals noch richtig gekocht, alles Natur und immer aus eigener Ernte. Dienstags roch es meistens nach frischem Brot, von den Bäuerinnen selbst gebacken. Bis heute hat sich der Geruch und der Geschmack von frisch gebackenem Brot und selbst gestoßener Butter tief in mein Gedächtnis eingegraben. Danach kehrte Ruhe in den Gassen ein, so, als schöpfte das dörfliche Leben neuen Atem.

Aber danach ging es mit frischer Kraft weiter. In manchen Höfen hörte man das Klopfen des Dengelhammers wie die Sensen geschärft wurden, bei anderen die Sägemaschine vom Hölzel. Die Geräusche waren jahreszeitlich verschieden. Manchmal hörte man die Dreschmaschine, den Kartoffeldämpfer oder die Hexelmaschine. Auf den Feldern rings um den Ort herrschte ein reges Leben. Es wurde gepflügt, Unkraut gejätet, Kartoffel geerntet, Frucht geschnitten und was nicht alles mehr.

Jeder kannte jeden

Der Großteil der dörflichen Kommunikation fand in den vielen „Tante-Emma-Läden statt. 

Es kannte jeder jeden, man erfuhr jegliche Neuigkeit: wer Nachwuchs bekam, wer verstorben war, wer geheiratet hat, wer geschieden wurde und so manches mehr.

Schickte meine Mutter mich zwei Pfund Zucker holen, so lief im Laden das Gespräch etwa folgendermaßen ab:

„Gudn Dach!
„Ach, de Willi, was willscht doann?

„Zwee Pund Zucker.
„Aaah, was mäscht doann de Mudder?

„Die isch dahoam.
„Was mäscht se doann?

„Die backt Quetschekuuche.
„Aaah, do gibst bei Eich heit Quetschekuuche?

„Ja.
„Un was mäscht de Vadder?

„Der is im Gschäft un schafft.
„Aaah, was mäscht er doann so im Gschäft?

„Der schleift Stoaner fer die Leit.
„Aaah, des isch doch e Grabstoi-Geschäft. Hew isch’s doch gewißt.
Do hoscht doinen Zucker
.
„Ja.
„Sagscht en scheene Gruß dahoim.

„Ja. Wiedersehn.

Dieses Gespräch wiederholte sich des öfteren.

Das war die heimatliche Grundstimmung, aus der heraus wir lebten.

Willi Eck