Das alte Rathaus brennt!
Freitag,
der 16. Mai 2003, war für meine Frau und mich einer der schlimmsten Tage
unseres Lebens.
Es
begann alles ganz normal, wie jedes Wochenende. Meine Frau kam etwas früher
vom Büro nach Hause, tätigte noch einige kleine Einkäufe für das
Wochenende. Wir unterhielten uns eine Weile, aßen dann eine Kleinigkeit und
danach schaute ich Fernsehen. Meine Frau sagte: „Ich lege mich kurz hin,
denn ich habe Kopfschmerzen und bin etwas abgespannt.“ Ich saß nun im
Wohnzimmer vor dem Fernseher, muss aber dann eingeschlafen sein.
Plötzlich
begann das Chaos.
Die
Sirene auf dem Dach heulte, ich bin aufgeschreckt, rannte ans Fenster und
wollte nachsehen, wo die Feuerwehr hinfährt, aber dazu kam ich nicht. Die
Ereignisse überschlugen sich. Meine Frau stürzte aus ihrem Zimmer und sagte:
„Auf dem Speicher über mir machen die einen Mords-Radau, das musst Du Dir
einmal anhören.“ Zur gleichen Zeit läutete es Sturm an unserer
Abschlusstür. Jemand klopfte wie wild dagegen. Ich rannte hin, öffnete sie
und eine junge Frau, ich kann mich nur noch an ihr pinkfarbenes T-Shirt
erinnern,
packte mich und schrie: „Raus, raus, das Haus brennt. Wo ist Ihre
Frau?“ Meine Frau sagte: „Ich bin hier.“ Die junge Frau gab keine Ruhe,
bugsierte uns aus der Wohnung, die Treppe hinunter und aus dem Haus. Da erst
konnten wir das Ausmaß des Brandes erkennen. Vorher, in unserer Wohnung, war
von dem Brand nichts zu merken. Kein Rauch, kein Feuer, auch unsere
Rauchmelder gaben keinen Ton von sich, nur der Lärm auf dem Dachboden.
Ich
kann mich noch erinnern, beim Verlassen unserer Wohnung hinter der Speichertür,
die gegenüber unserer Wohnungstür liegt, einen roten Lichtschein durch die Türritzen
erkannt zu haben, was auf mich aber noch nicht bedrohlich wirkte. Ich wurde später
eines besseren belehrt. Kurz, nachdem wir das Haus verlassen hatten, soll
diese Tür nachgegeben haben und das Feuer muss dann blitzschnell auf unsere
Wohnung übergegriffen haben.
Nun
standen wir auf dem Marktplatz und mussten zusehen, wie das Feuer unser ganzes
Hab und Gut vernichtete. Mich ließ ein Gedanke nicht los: Wie konnte das
passieren? Der Speicher ist immer abgeschlossen, auch die Haustüre ist
freitags nach Büroschluss ab 13 Uhr immer verschlossen. Wenn man ins Haus
will, muss man läuten, ein Fremder kann also das Haus ohne Wissen der
Bewohner nicht betreten. Wieso waren beide Türen unverschlossen? Ich fand
einfach keine Erklärung und auch keine Ruhe, der Gedanke beschäftigt mich
immer noch.
Ich
möchte versuchen in Worte zu fassen, wie man sich fühlt, wenn man ohnmächtig
zusehen muss, wie alles, was einem lieb und teuer ist, verbrennt. Ich fühlte,
wie ein Teil in meinem Inneren mitverbrannte. Fast 40 Jahre meines Lebens
verbrannten mit. Die Intensität des Schmerzes ist ähnlich, wie wenn man
einen geliebten Menschen verliert. Ich fühlte mich auch innerlich wie
ausgebrannt, wie tot. Man hat im Moment keine Zukunftsperspektive mehr. Dieser
Zustand fand seinen Höhepunkt zwei Tage nach dem Unglück, am Sonntag morgen.
Ich
stand alleine auf dem Balkon meiner Tochter, und es wurde mir schlagartig
bewusst, dass meine Frau und ich jetzt obdachlos waren. Wir hatten nichts
mehr, außer dem, was wir auf dem Leibe trugen. All unsere Habe war nicht
mehr, unsere Bibliothek mit weit über tausend Bücher, unser Büro mit den
Computern, unser Ess- und unser Wohnzimmer, die wir uns so liebevoll
eingerichtet hatten, teils mit seltenen antiken Möbeln, wie wir es uns für
unseren Lebensabend vorstellten und wünschten. All das war jetzt nur noch ein
vergangener Traum. Da packte es auch mich, und ich konnte meinen Tränen
freien Lauf lassen, es sah ja niemand. Ich kam mir entwurzelt vor. In meinem
Alter noch einmal von vorne anfangen zu müssen, erschien mir fast unmöglich.
In diesem lethargischen Zustand fühlte ich mich ganz alleine. Aber ich hatte
ja noch meine Frau Gabriele, die mir neuen Lebensmut und Kraft gab. Sie sagte
immer wieder: „Wir schaffen das, lass den Kopf nicht hängen. Trotz all dem
Unglück, wir haben ja noch uns beide, und das ist das Wichtigste.“ Für
diesen Satz liebe ich sie und danke ihr von ganzem Herzen. Sie sagte: „Alleine
schaffe ich das nicht, Du musst mir dabei helfen, zu zweit bekommen wir einen
neuen Anfang hin.“ Das ist uns
beiden unter diesen Umständen auch schon ganz gut gelungen.
Wir
bekamen auch sehr viel Hilfe und Anteilnahme von den Leuten:
Besonders
von unserem Bürgermeister, Herrn Oeldorf, der schnell vor Ort war, Hilfe
versprach und dies auch sofort in die Tat umsetzte, von meinem Schulkollegen
Wilhelm, seiner Frau Doris und seinem Sohn Ralf, ganz besonders aber auch von
unserer Nachbarin, Barbara, die sich rührend um meine Frau kümmerte. Ohne
meinen Sohn Frank, der immer wieder auf eigene Gefahr einen Teil unserer
Papiere aus der schwelenden Wohnung rettete, uns beim Renovieren unserer Überganswohnung
bis spät in den Abend hinein half, an seinem Geburtstag bei uns renovierte,
statt zu feiern, hätten wir das alles nicht so schnell geschafft. Er war uns
die größte Hilfe. Des weiteren von seinem Chef, Herrn Pfefferle und Herrn
Labitzke, die, der Lage entsprechend unkompliziert und schnell halfen, Herrn
Martiné und den Mitarbeitern des Bauhofs. Trotz der riesigen Belastung in
dieser Ausnahmesituation, haben uns alle schnell und unbürokratisch geholfen.
Auch Herr Schulz stellte der Gemeinde eine Wohnung für uns zur Verfügung und
sein Mitarbeiter, Herr Kellert, kümmerte sich anteilnahmsvoll um uns.
Es
war für meine Tochter Brigitte und meinen Schwiegersohn Helmut selbstverständlich,
uns sofort aufzunehmen und uns sogar ihr eigenes Schlafzimmer zur Verfügung
zu stellen.
Inzwischen
wissen wir, dass es Frau Monika Schwarzenberger vom Deutschen Roten Kreuz aus
Leutershausen war, die uns so beherzt aus der Wohnung rettete und sich selbst
dabei in Lebensgefahr brachte. Wer weiß, was sonst passiert wäre. Ihr
verdanken wir unser Leben.
Durch
den heroischen Einsatz unserer Freiwilligen Feuerwehr Großsachsen unter der
umsichtigen Leitung ihres zweiten Kommandanten, Herrn Braun, konnte verhindern
werden, dass das gesamte Rathaus abgebrannt ist und das Feuer nicht auf
das Nachbargebäude, den Zähringer Hof übergriff. Die Feuerwehren von
Weinheim, Schriesheim und Leutershausen kamen zu Hilfe. Mit vereinten Kräften
gelang es ihnen dann, den Brand einzudämmen. Zwei der Feuerwehrleute mussten
wegen Rauchvergiftung ärztlich behandelt werden.
Nicht
zu vergessen die Hilfsbereitschaft der Nachbarschaft und der Feuerwehrfrauen,
die immer einen heißen Kaffee bereithielten oder ein belegtes Brötchen
anboten. Ihnen allen und den großzügigen Spendern danken wir von ganzem Herzen. Auch möchte ich Herrn Dr.
Andreas Mussotter danken, der extra kam, um nach uns zu sehen, und Frau Dr.
Ursula Mussotter, die uns beiden auch in der Zeit danach gesundheitlich und
seelisch sehr halfen und viel Verständnis zeigten. Auch das Deutsche Rote
Kreuz, Ortsverein Großsachsen, vergaß uns nicht und half uns mit einer
finanziellen Nothilfe. Wir danken Herrn Schwerin für seinen Besuch und das
anteilnahmsvolle, liebe Gespräch. Auch eine Sammelaktion des Kindergartens
von Leutershausen diente den Brandofern. Auch Ihnen vielen Dank.
Die
Solidarität war überwältigend. Auch den Menschen, die für uns in Not
Geratenen Sachen gespendet haben, Betten, Kühlschränke, Anbauküchen, Wäsche,
Gardinen, auch Ihnen herzlichen Dank für ihr rasches und praktisches Helfen.
Gefreut
habe ich mich über die Großsaasemer Buwe, fast alle auch bei der Freiwilligen
Feuerwehr Großsachsen, die sehr mitfühlend waren. Auf unsere Bitte hin standen
uns Christian, Michael und Frank sofort zur Seite und halfen uns.
Während
wir auf dem Marktplatz standen, und den Dachstuhl des Rathauses brennen sahen,
dachte ich: „Mein Gott, warum lässt Du so etwas geschehen. Lass wenigstens
unsere zwei Katzen Sethi und Akela am Leben, es sind doch zwei lebendige Wesen
und sie sind noch so jung.“ Meiner Frau lagen diese beiden Tiere so am
Herzen. Sie weinte nur immer und starrte hinauf zu den Fenstern, ob sich die
Katzen vielleicht nicht doch noch zeigten. Aber ich hatte keine Hoffnung. Ich
fragte die Feuerwehrleute, ob sie vielleicht die beiden gesehen hätten. Aber
auch sie sagten: „Es ist fast unmöglich, dass sie dieses Chaos überleben.“
Auch Herr Braun, der zweite Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr von
Großsachsen, meinte: „Trösten Sie Ihre Frau. Die beiden haben bestimmt
nicht viel gemerkt und sind schnell durch den Rauch erstickt.“
Aber siehe,
ließ Gott ein Wunder geschehen? Man kann es sehen wie man will, die beiden
Katzen haben diese Hölle von Feuer, Rauch, Hitze und Wasser überlebt, was
nach menschlichem Ermessen so gut wie unmöglich erschien. Wir hatten drei
Madonnen, ca. 60 cm groß. Alle drei haben den Zusammensturz des Dachstuhls
Ruß-geschwärzt aber heil überstanden. Bei der einen Madonna legten sich
beide Katzen recht gerne hin und kuschelten sich an. Wenn man sie suchte, fand
man sie öfters schlafend bei dieser Madonnen-Figur. In der Nähe dieser Figur
haben beide dann auch unter einem Hydro-Blumengefäß überlebt. Seltsam –
das gibt einem doch zu denken. Mein Sohn Frank konnte beide Kater am Samstag
Morgen nach 16 Stunden Chaos und Martyrium für diese Tiere unter diesem
Blumenkübel hervorholen. Außer schweren Rauchvergiftungen waren beide unverletzt,
so dass sie inzwischen nach tierärztlicher Versorgung heute beide wieder
ganz gesund und munter sind. Frau Dr. Wagner aus Leutershausen bemühte sich
rührend um die beiden Katzen. Gott sei gedankt.
Wir
haben zwar eine Übergangswohnung, die wir versucht haben für uns wohnlich
einzurichten und gaben uns große Mühe, aber es ist halt nicht das Gleiche
wie unsere verlorene Wohnung. Man fühlt sich fremd, sucht Gegenstände, die
gar nicht mehr existieren, läuft in Gedanken aus dem Raum, will etwas holen
an Orten, die es nicht mehr gibt.
Wir
hoffen, dass unsere alte Wohnung bald wieder hergestellt ist, so dass wir uns
endgültig neu einrichten und orientieren können.
Dieser
Bericht ist meine persönliche Sicht der Ereignisse, ich denke, dass wir
einiges nicht mitbekommen haben, da meine Frau und ich anfangs unter Schock
standen.
Möge
Gott unseren Ort in Zukunft von solchen Katastrophen verschonen. Sie bringen
nur unendliches Leid, Not und Trauer über die Familien.
Vielleicht
erwartet man jetzt viele Bilder von dem Brand. Wir danken Herrn Schollenberger
von der Freiwilligen Feuerwehr Großsachsen für seine CD, die er uns dafür
zur Verfügung gestellt hat. Aber, nachdem man uns von kompetenter Seite
darauf aufmerksam gemacht hat, dass solche Bilder Brandstifter nur ermutigen,
es noch toller zu treiben, zeigen wir keine Bilder, die den Brand darstellen,
sondern lediglich ein paar persönliche Bilder aus unserer abgebrannten
Wohnung und einige Zeitungsartikel.
Willi
Eck
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